Freitag, 22. Oktober 2010

Mutige Worte

Die Demonstration vom 30.09.2010 im Stuttgarter Schlosspark beherrscht nach wie vor die Schlagzeilen. Zu Recht, wie ich finde.

Jetzt melden sich auch die Kritischen Polizisten - Hamburger Signal e.V. zu Wort. Deren Vorsitzender, Thomas Wüppesal, geht mit seinen dort tätigen Kollegen sehr deutlich und nicht minder hart ins Gericht.

Das rechtswidrige Handeln staatlicher Organe habe bei diesem Einsatz seinen Höhepunkt erreicht, heißt es in der Pressemitteilung. Die Stuttgarter Polizei sei noch rücksichtsloser und brutaler vorgegangen, als man dies von den negativen Referenzbeispielen kenne.

Wörtlich: „Ihr „Job“ ist es nicht, dem Innenminister oder irgendeinem Polizeipräsidenten zum Gefallen vorzugehen, sondern ihre Loyalität hat niemand anderem gegenüber größer zu sein, als den Gesetzen, der Rechtsprechung und der Bevölkerung als dem Souverän, von dem sie bezahlt werden."

Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Scheint es demnach aber nicht.

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Realitätsferner Richtervorbehalt?

Wieder einmal macht die Blutentnahme nach polizeilicher Kontrolle von sich reden. Dieses mal meldet sich Frank Richter von der Gewerkschaft der Polizei zu Wort. Er befürwortet die Abschaffung des Richtervorbehalts bei Blutentnahmen. (Zur Pressemitteilung) Einen entsprechenden Antrag hat das Land Niedersachsen bereits in den Bundesrat eingebracht.

Bemerkenswert ist dabei vor allem seine Begründung.

Er halte Niedersachsens Vorschlag für "realitätsnah und praxistauglich". Wenn man sich die Vielzahl der zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen der letzten 2 Jahre anschaut, ist man versucht, ihm Recht zu geben: Tasächlich findet der Richtervorbehalt in der Praxis häufig keine Berücksichtigung mehr. Aber kann die Missachtung einer gesetzlichen Regelung ernsthaft als Argument für deren Abschaffung dienen? Das wäre dann aber Wasser auf die Mühlen derer, die die Legalisierung sog. "weicher" Drogen oder des File-Sharings fordern. Auch in diesen Bereichen wäre eine Abschaffung entgegenstehender Regelungen "realitätsnah und praxistauglich".

Hinzu gesellt sich die grundsätzliche Frage, ob man vorsätzliche Rechtsverstöße - nichts anderes ist die mehr oder weniger bewusste Umgehung des Richtervorbehaltes - durch die Abschaffung der unbequemen Norm nachträglich quasi "adeln" darf? Oder käme das nicht einer Einladung gleich, auch in anderen Bereichen Schutzrechte der Bürger möglichst im großen Stil zu ignorieren, um auch deren Abschaffung "realitätsnah und praxistauglich" werden zu lassen?

Wenn Herr Richter dann als weitere Gründe für die Abschaffung des Richtervorbehalts Grenzfälle nennt, die auch nach derzeitiger Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der "Gefahr im Verzug" die Anordnung der Entnahme durch die Polizei erlauben würden, kann man das wahlweise als ungeschickt oder populistisch werten.

Nicht mehr akzeptabel ist allerdings seine Schlussfeststellung: „Für die Polizei ist es frustrierend, mit ansehen zu müssen, dass ein mutmaßlicher Täter aufgrund solcher unnötiger Verzögerungen ungestraft davonkommt. Das ist auch den Bürgerinnen und Bürgern nicht vermittelbar.“

Hier wäre wünschenswert gewesen, rechtsstaatliche Grundsätze zu Wort kommen zu lassen. Die Unschuldsvermutung zum Beispiel, die für den "mutmaßlichen Täter" eigentlich Geltung erlangen müsste. Und die meiner Erfahrung nach bei den Bürgerinnen und Bürgern durchaus auf Akzeptanz stößt. Zumal ohne Blutprobe noch gar nicht klar ist, ob eine überhaupt eine Straftat vorliegt.

Montag, 18. Oktober 2010

Laptop im Knast?

Wirtschaftsstrafverfahren bringen Schwierigkeiten ganz eigener Art mit sich. Zum Beispiel der Umfang der Ermittlungsakte. Im konkreten Fall sind es nach vorsichtiger Schätzung gut 50.000 Blatt. Derzeit.

Nun hat die Staatsanwaltschaft - vorbildlich! - die Akte von Anbeginn an in elektronischer Form aufbereitet, so dass ich auf der Geschäftsstelle einen schlanken Schnellhefter mit einigen wenigen Blättern sowie einer DVD in die Hand gedrückt bekam.

Prima! sollte man meinen. Dumm nur: Der Mandant sitzt in Untersuchungshaft. Die eigentlich sehr praktische elektronischen Ermittlungsakte mutiert zu einem gewaltigen Problem: Wie lasse ich sie dem Mandanten zukommen, damit wir deren Inhalt besprechen und eine Strategie erarbeiten können? Alles ausdrucken? Das füllt bei diesem Aktenvolumen mindestens 100 dicke Ordner - so viel Platz ist in keiner Haftzelle.

Also schauen wir mal, was die Staatsanwaltschaft von meiner Idee hält, dem Mandanten einen Laptop zur Verfügung zu stellen. Nicht internet- oder telekommunikationsfähig, versteht sich. Gründe dafür sind reichlich vorhanden, allein: Der Glaube an den Erfolg will sich dennoch nicht so recht einstellen.

Vermutlich muss man das sportlich sehen. Für eine OLG-Entscheidung taugt der Fall allemal. Und zu dem Thema habe ich noch keine Veröffentlichung unseres OLG gefunden. Dann lasst uns also Rechtsfortbildung betreiben!

Sonntag, 10. Oktober 2010

"Zufalls"-Funde?

Bei der Jagd nach den Herstellern und Verbreitern von Schadsoftware gewähren die Ermittlungsbehörden immer weniger Pardon. Dass sie dabei zuweilen über das eigentliche Ziel hinaus schießen, müssen sogar die eigentlich Geschädigten dieser Malware erfahren. So wie mein Mandant.

Dabei wähnte er sich bis dahin eigentlich auf der Seite der "Guten". Gezielt macht er im Internet Jagd auf solche Dateien, die er analysiert und an die Hersteller von Antivirenprogrammen weiterleitet. Genau dies wurde ihm zum Verhängnis.

Die Geschichte begann damit, dass er sich auf Anregung eines "Kollegen" eine solche Schaddatei zwecks Analyse herunterlud. Offensichtlich parallel hierzu waren auch die Ermittler der Polizei dieser Datei auf der Spur und identifizierten meinen Mandanten und 15 weitere Personen als Geschädigte. Dass er sich die Datei gezielt zur Analyse beschafft hatte war ihnen dabei nicht bekannt. In dem Bestreben, "den genauen Infektionsweg und den genauen Wirkungsbereich der Schaddateien festzustellen", erwirkte man sodann einen Durchsuchungsbeschluss bei meinem Mandanten. Darin heißt es:

"Gesucht wird der Rechner, mit dem die geschädigte Person sich ins Internet zum vorgenannten Zeitpunkt einwählte. Gesucht werden auch Vorrichtungen (Datenstifte) sowie Kennwörter, die zum Betrieb des Rechners und zur Entschlüsselung von Recluierdaten erforderlich sind; deshalb ist erforderlichenfalls auch die Person zu durchsuchen (Datenstifte u.a.)."

Einfache Gemüter wie ich verfallen nun leicht auf Fragen wie: Würde nicht eine simple Anfrage an den Geschädigten genügen? Man glaubte ja, er habe sich die Malware versehentlich eingefangen. Würde er nicht gerne die fragliche Datei zu Ermittlungszwecken herausgeben?

Das sah das Amtsgericht schon im Durchsuchungsbeschluss indes anders:

"Von der vorherigen Anhörung des Geschädigten wird abgesehen, weil sie den Zweck der Durchsuchung gefährden könnte (§ 33 Abs. 4 StPO), insbesondere die Löschung von Daten zu besorgen wäre."

Also nahm man in einer bundesweit koordinierten Durchsuchungsaktion am frühen Morgen bei meinem Mandanten gemäß des amtsgerichtlichen Beschlusses vorsorglich alle auffindbaren Rechner und Datenspeicher mit, um diese sämtlich - wie ebenfalls im Beschluss vorgesehen - einer physikalischen Datensicherung zuzuführen. Wohlgemerkt: Angeblich um eine zum Zeitpunkt des Beschlusses bereits identifizierte und bekannte Datei untersuchen zu können. Ein Schelm, der vermutet, hier habe man Zufallsfunde provozieren wollen.

Aber auch nach längerem Nachdenken wollte mir partout kein anderer Beweggrund für diese Maßnahme einfallen. Also legte ich im Auftrag des Mandanten Beschwerde ein. Die widerum vermochten nun weder Amtsgericht noch Staatsanwaltschaft nachzuvollziehen. Letztere führte u.a. aus:

"Der vom Rechtsanwalt gerügte Verstoß gegen das Übermaßverbot liegt nicht vor. (...) Auf die freiwillige Mitarbeit von Zeugen kann dabei nicht gesetzt werden: Im Internetdezernat wurde mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Datenträger nicht freiwillig herausgegeben wurden oder aber erst nach vorheriger Löschung von Daten (privaten Bildern, privaten Texten, Dateien, bei denen der Zeuge befürchtete, sich der Strafverfolgung auszusetzen wie z.B. Tauschbörsenprogrammen)."

Ach so. Mit anderen Worten: Genau auf diese privaten Daten bzw. Programme hat man es abgesehen. Warum sonst würde deren Löschung den Ermittlungszweck gefährden können?

Zum Glück sah es das Landgericht im Ergebnis ähnlich. Der Beschluss wurde aufgehoben und die Herausgabe der sichergestellten Gegenstände sowie die Löschung sämtlicher Daten angeordnet. Sogar meine Gebühren muss die Staatskasse tragen.

Wie das bei den anderen "Geschädigten" des gegen Unbekannt gerichteten Ermittlungsverfahren gelaufen ist, weiß ich natürlich nicht. Vermutlich haben sich aber die wenigsten gewehrt. Ob es dabei auch "Zufallsfunde" gab?

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Diskussions-Niveau

Ein immer wieder funktionierendes Mittel, um die Stimmung von Staatsanwälten in der Hauptverhandlung unter den Nullpunkt sinken zu lassen, sind Beweisanträge. Vor allem dann, wenn der/die jeweilige Sitzungsvertreter(in) dann noch einräumen muss, dass ihnen nachzugehen sein dürfte.

Heute konnte ich das wieder einmal hautnah miterleben. Im Rahmen ihrer Stellungnahme musste Frau Staatsanwältin erst erkennbar zähneknirschend einräumen, dass an der beantragten Vernehmung des Bruders des Mandanten als Zeuge wohl kein Weg vorbei führe. Ob sich denn mein Mandant darüber im Klaren sei, dass er diesen so der Gefahr einer Strafverfolgung aussetze, wollte sie aber noch wissen. Immerhin drohe ihm in Folge seiner Aussage ein Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage.

Respektable Leistung: Noch bevor ihn irgendwer gehört hat - er wurde bislang auch von der Polizei nicht vernommen - kündigt man ziemlich unverholen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens an, sollte er den Mandanten entlasten. Warum sich Staatsanwälte so oft so schwer mit der Vorstellung tun, der Angeklagte könnte sich ggf. doch nicht strafbar gemacht haben, wollte sie mir nicht verraten. Auf dieses Diskussionsniveau werde sie sich nicht begeben.

Da sage jetzt aber keiner, ich hätte nicht versucht, mich anzupassen...

Montag, 4. Oktober 2010

Unerwünschte Sicherung

Manche scheinbar einfachen Situationen entfalten im Detail dann doch ungeahnte Schwierigkeiten.

Mit der Staatsanwaltschaft waren wir uns schnell einig: Gegen den Nachweis einer Einigung mit der Geschädigten sei man bereit, das Verfahren gemäß § 153a StPO einzustellen. Die Einigung auf Basis eines Schuldanerkenntnisses mit Ratenzahlungsvereinbarung war zwar schon etwas schwieriger, klappte im Ergebnis aber auch.

Nun kartete allerdings die Staatsanwaltschaft nach: Man brauche ein notarielles Schuldanerkenntnis, da man sonst die Einstellung bei Gericht nicht durchbekomme, das in solchen Fällen eine Vollstreckbarkeit und damit höhere Sicherheit für die Gläubigerin wolle. Das war dann zwar im Hinblick auf die zuvor gemachte Zusage ärgerlich und ich habe mir einmal mehr vorgenommen, mich nicht mehr auf mündliche Zusagen zu verlassen. Aber vor ein wirkliches Problem sollte uns das nun auch nicht stellen.

Tut es jetzt aber doch. Denn die Gläubigerin scheint die gerichtliche Fürsorge gar nicht zu wollen. Es bestehe keine Notwendigkeit für ein notarielles Schuldanerkenntnis, teilt sie jetzt mit. "Von unserer Seite ist daher keine Veränderung erwünscht."

Mal sehen, was der Herr Staatsanwalt dazu sagt. Die Ausrede vom Gericht, dem die Gläubigerinteressen am Herzen liege, greift nun ja wohl nicht mehr...

Freitag, 1. Oktober 2010

Auf der Suche nach der Norm

Der Mandant hatte, bevor er in unser Büro kam, erfolglos den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, weil sein Nachbar ihm immer wieder den Zugang zum Telefon- und TV-Anschluss unterbrochen hatte. Das Amtsgericht qualifizierte seinen Antrag als sog. "Leistungsverfügung". Eine solche sei aber nur in Ausnahmefällen zulässig, etwa bei Gefahr für Bewohner oder Gebäude. Hierzu berief sich die Amtsrichterin auf die gängigen Kommentierungen zum BGB, dort § 541 a.

Die wollte ich dann doch mal nachlesen. Und stellte fest: Weder im Gesetz noch in der Kommentierung fand ich diese hier wohl entscheidende Norm. Weder in aktuellen, noch in diversen, teils fast schon historischen Ausgaben, die sich in der Kanzlei auffinden ließen.


Ich sollte wohl öfter in der Bibliothek des Amtsgerichts nachschauen.Vielleicht würde ich dann so manche Entscheidung besser verstehen?