Dienstag, 30. November 2010

Jetzt erst recht!

Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) tritt nun trotz aller im gleichen Maße heftigen wie begründeten Kritik in Kraft. Und schon ziehen sich die ersten Blogs zurück. Wenn ich deren Begründung richtig verstehe, geschieht dies aus Protest gegen die Regelungen des JMStV.

Ich frage mich unterdessen, ob dieser Schuss nicht nach hinten losgeht? Die Freiheit des Internets, die durch dieses, nun sagen wir: unglückliche Gesetz deutliche Beschränkungen erfährt, lebt nicht zuletzt in der Vielzahl der Blogs. In diesen findet einerseits Meinungsfreiheit durch Vielfalt statt, andererseits erhalten hier auch Stimmen Plattform und Publikum, die nicht primär das wiedergeben, was einflussreiche und mächtige Organisationen jedweder Couleur veröffentlicht sehen wollen.

Diese Möglichkeit aus Protest gegen Beschränkungsversuche aufzugeben, ähnelt letztlich vorauseilendem Gehorsam. Denn je mehr Blogger sich diesem Beispiel anschließen, umso erfolgreicher wird der JMStV als Zensurregelung werden.

Daher: Wir sollten jetzt erst recht merkwürdig und laut werden!

Montag, 29. November 2010

Irrläufer

Einen sehr interessanten Irrläufer hat der Kollege vom Einwohnermeldeamt erhalten.

Das Polizeirevir hatte dort angefragt:

"Im Rahmen von Ermittlungsverfahren benötigen wir eine aktuelle Auflistung von allen bei Ihnen gemeldeten Personen für den Wohnkomplex [...]. Die Daten werden benötigt, um diese mit der Liste der Vermieter auf Aktualität abzugleichen. Sollten Personen dort tatsächlich nicht mehr wohnhaft sein, werden diese von Amts wegen abgemeldet."

Der versehentlich an unser Büro gerichteten Antwort des Einwohnermeldeamts waren mehr als 40 Seiten mit 21 Datensätzen pro Blatt beigefügt. Offenbar handelt es sich um einen sehr großen Wohnkomplex.

Welches Ermittlungsverfahren diese doch sehr weit reichende Auskunft erforderlich macht, werden wir wohl nie erfahren. Aber diese Frage scheint für das Einwohnermeldeamt offenbar auch nicht von Bedeutung gewesen zu sein, da keinerlei Nachfage erfolgte. Hoffentlich weiß wenigstens der Hessische Datenschutzbeauftragte davon, denn der müsste wohl informiert werden, § 26 Abs. 4 HSOG.

Dienstag, 23. November 2010

Internationale Belehrung

Aus der Ermittlungsakte:

"Auf die Frage, wo das Metall herkomme, gab der BS A, der als einziger im Fahrzeug deutsch verstand an, ... Mit Unterstützung der Streifen wurden dann alle BS nach einer Belehrung mit auf das hiesige Revier sistiert."

Bemerkenswert: Jetzt belehren unsere Kripo-Beamten sogar schon in fremden Sprachen, hier: rumänisch. Oder hat man den nicht deutsch verstehenden Beschuldigten tatsächlich den deutschen Belehrungstext aufgesagt?

Dienstag, 16. November 2010

Inbegriff der Hauptverhandlung - nur welcher?

Hauptverhandlung am Amtsgericht. Dem Mandanten wird zur Last gelegt, ein deutlich geschöntes Führungszeugnis an seinen damaligen Arbeitgeber gefaxt zu haben. Die Staatsanwaltschaft nennt das Urkundenfälschung.

Der Mandant macht keine Angaben. Das Gericht nimmt nach Anklageverlesung das besagte Telefax in Augenschein. Danach verliest der Vorsitzende den tatsächlichen, mit einigen Einträgen versehenen BZR-Auszug. Dann wird noch das Schreiben des damaligen Arbeitgebers verlesen, mit dem dieser Anzeige erstattet hatte. Darin heißt es, man habe auf Aufforderung das jetzt verfahrensgegenständliche Führungszeugnis per Fax erhalten, zu einer Zeit, als sich der Mandant in stationärer Behandlung in der Klinik befunden habe. Abschließend lasse ich noch die Absenderkennung des Telefaxes verlesen: Nummer und Name stimmen weder mit dem Anschluss des Mandanten noch mit dem des besagten Klinikums überein.

Nach somit ca. 15minütiger Verhandlung schließt das Amtsgericht die Beweisaufnahme - und verurteilt den Mandanten wegen Urkundenfälschung. "Nach dem Inbegriff der Hauptverhandlung sowie der Lebenserfahrung kann es keine Zweifel geben, dass der Angeklagte das Fax verschickt hat. Wer soll es auch sonst gewesen sein? Und wenn es ein anderer war, hat der Angeklagte zweifelsohne davon gewusst."

Ich habe hier die Beweisaufnahme vollständig wiedergegeben. Was noch fehlt ist die Vorgeschichte: Parallel läuft eine Berufung gegen ein anderes Urteil des gleichen Amtsrichters gegen den Mandanten. Auch dort war es zu einem schnellen Urteil gekommen; im Berufungsverfahren haben wir bereits drei Verhandlungstage hinter uns. Zudem hatte der Mandant diesen Amtsricher im Vorfeld unserer jetzigen Verhandlung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, nachdem meine Bitte um Terminsverlegung wegen meiner Verhinderung mit dem Hinweis zurückgewiesen worden war, der Mandant hätte dann eben einen anderen Verteidiger wählen müssen, der an dem anberaumten Termin Zeit habe.

Mich haben hier mehr als nur leise Zweifel beschlichen, ob das Urteil tatsächlich auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung ergangen ist. Jedenfalls nicht auf der unmittelbar vorangegangenen. Wenn überhaupt hat diese nur ergeben, dass mein Mandant das Fax nicht geschickt haben kann, weil er zum Zeitpunkt der Versendung stationär im Krankenhaus weilte, von wo das Fax nicht kam.

Eher scheint mit das Urteil auf einer bereits vor Beginn der Verhandlung bestehenden, gefestigten Überzeugung des Richters zu basieren, die dann allenfalls aus dem vorangegangenen Verfahren folgen kann. Ob die erfolglose Ablehnung zusätzlich eine Rolle gespielt hat?

Wie auch immer: Jetzt ist auch hier das Landgericht gefragt.

Donnerstag, 11. November 2010

Drücker bei der GEZ?

Eine 54-jährige GEZ-Mitarbeiterin wurde dieser Tage vom Ehinger Amtsgericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Sie hatte im Dezember letzten Jahres eine Ulmer Wohnung auf unangemeldete Geräte überprüft. Dort stellte sich ihr ein Wirt entgegen, dem sie sodann mit dem Hitlergruß entgegentrat und diesen wüst beschimpfte. [Zum Artikel]

Was ich an dieser Meldung besonders bemerkenswert finde: Die Frau arbeitet auf Provisionsbasis als Kontrolleurin der GEZ. Das erinnert mich spontan an die jungen Männer, die seinerzeit von Tür zu Tür zogen, um u. a. Zeitschriftenabos zu verkaufen. Es scheint, als würde mittlerweile auch die GEZ starken wirtschaftlichen Druck bei den Kontrolleuren aufbauen und eine Erfolgsquote verlangen. Sonst wäre die gute Dame doch nicht so außer Fassung geraten, nur weil ihr Gegenüber sie nicht ins Haus lassen wollte, oder?

Montag, 8. November 2010

AG Frankfurt am Main: Kein fliegender Gerichtsstand bei Urheberrechtsverletzungen im Internet

Eine interessante Entscheidung zum "fliegenden Gerichtsstand" kommt vom Amtsgericht Frankfurt am Main. Dieses verneint die Möglichkeit, Urheberrechtsverstöße an jedem Gericht in Deutschland zu verfolgen.

Diese Möglichkeit sei zwar im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts insbesondere von Presseberichtserstattungen entwickelt worden und liege darin begründet, dass der Schädiger den Verbreitungsbereich seiner Presseerzeugnisse selbst festlege. Das könne jedoch nicht auf Urheberrechtsverletzungen via Internet übertragen werden. Die weltweite Abrufbarkeit eines Internetangebotes sei nicht notwendig vom Anbietenden bezweckt sondern eine zwangsläufige technische Gegebenheit des hierfür verwendeten Mediums. Dabei falle die Begründung von Handlungs- und Erfolgsort notwendig zeitlich zusammen."Da es für die Verleztungshandlung auf den Erfolgsort nur dann ankommt, wenn nicht bereits die Handlung den Erfolg vollenden könnte, kann der [...] Rechtsprechung des BGH folgend ein fliegender Gerichtsstand für Urheberrechtsverletzungen im Internet gar nicht begründet werden." Auch § 32 ZPO soll danach nicht einschlägig sein.

Es verbleibe daher beim allgemeinen Gerichtsstand, im Zweifel also dem Wohnsitz des Beklagten bzw. Antragsgegner.

Angesichts der Klagen deutscher Gerichte über Ihre Überlastung müsste dies vor allem die Landgerichte Köln und Hamburg eigentlich freuen. Oder gibt es tatsächlich den Kampf um den "Standortvorteil"?

Freitag, 5. November 2010

"Gefällt mir"-Button als öffentliche Aufforderung zu Straftaten?

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg schließt Ermittlungen gegen Facebook-Nutzer, die die Seite "Castor Schottern" mögen, wegen Verdachts des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten (§ 111 StGB) nicht aus. Das meldet Telepolis heute. Dies betrifft vorrangig Facebook-Nutzer, die den dort angebotenen Button "gefällt mir" drücken. Aber auch Freunde und Freundesfreunde solcher Nutzer können auf diese Weise schnell ins Visier der Ermittler geraten.

Ermittlungen gegen die Button-Nutzer wegen eines angeblichen Verdachtes auf eine Straftat nach § 111 StGB? Mit der geltenden Rechtslage bringe ich das nicht so recht in Einklang. Selbst wenn man unterstellen wollte, dass jeder, der diesen Button drückt, eine Art Zustimmung zum Schottern-Aufruf erklären wollte: Der Bundesgerichtshof verlangt - bislang jedenfalls noch - eine bestimmte, über eine bloße Befürwortung hinausgehende Erklärung. Da bleibt der Staatsanwaltschaft bei den Button-Drückern doch wohl nicht mehr viel Raum.

Wo in aller Welt findet sich hier also der Anfangsverdacht? Immerhin verlangt § 152 Abs. 2 StPO, dass "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" für eine Straftat vorliegen. Oder wie die Rechtsprechung es nennt: "Das Vorliegen konkreter Tatsachen".

Noch abwegiger wird die Situation bei den Freunden dieser "Gutfinder". Sollte nach Ansicht der Ermittler in Lüneburg tatsächlich die möglicherweise nur virtuelle Bekanntschaft mit einem solchen Facebook-Nutzer einen Anfangsverdacht auf das Vorliegen einer Straftat nach § 111 StGB begründen? Die Bekanntschaft als konkrete Tatsache für die Annahme einer über eine bloße Befürwortung hinausgehende Erklärung?

So fernab der Juristerei sind Staatsanwälte nicht. Wir dürfen getrost unterstellen, dass auch sie in die Kommentierungen schauen und daher wissen, dass § 111 StGB für diese gesamten Vorgänge nicht einschlägig sein kann.

Also stellt sich die Frage, was dieses "Säbelrasseln" soll. Will man nach und nach eine Art Gesinnungsstrafrecht einführen? Wer Leute kennt, die auch radikale Castordemonstranten kennen oder insgeheim deren Vorgehen gutheißen oder auch nur solche Leute kennt, die diese wiederum kennen, muss damit rechnen, dass gegen ihn ermittelt wird?

Das klingt schon fast nach "Sippenhaft". Jedenfalls aber ist es geeignet, Angst zu schüren. Angst davor, ins Visier der Ermittler zu geraten, sich gar strafbar gemacht zu haben, nur weil man die falschen Leute kennt. Und natürlich die Angst der "Button-Drücker", zudem soziales Ansehen zu verlieren, nur weil man erklärt hat, einen bestimmten Facebook-Account gut zu finden.

Angst zu verbreiten kann jedoch nicht Aufgabe von Ermittlungsbehörden sein. Tun sie es dennoch, verfolgen sie systemfremde Interessen. Politische? Staatsanwaltschaften als Instrumente deutscher Innenpolitik? Einmal mehr scheint sich dieser Verdacht zu bestätigen.

Es wird daher höchste Zeit, Staatsanwaltschaften unabhängig zu machen. Diese Notwendigkeit sehen zunehmend auch Richter und Staatsanwälte selbst, wie jüngst auch das Dresdner Plädoyer für eine unabhängige Staatsanwaltschaft der Neuen Richtervereinigung wieder gezeigt hat. Und auch wenn dort die Gründe teilweise andere sind: An der Richtigkeit der Forderunge kann es keine Zweifel geben.

Mittwoch, 3. November 2010

Widerrufsrecht auch nach Befüllung

Das Widerrufsrecht des Kunden gilt auch beim Kauf über das Internet. Das hat der Bundesgerichtshof jetzt in einem Fall entschieden, bei dem der Verkäufer eines Wasserbettes dem Käufer nach dreitägigem Probeliegen den Kaufpreis nicht erstatten wollte. Er argumentierte, bereits beim ersten Befüllen verliere das Bett den Verkaufswert.

Dem hielten die Karlsruher Richter entgegen: Wer im Internet kaufe, könne nicht wie im Laden probeliegen. Das könne er erst nach der Auslieferung. Im konkreten Fall wollte der Käufer das Bett nach drei Tagen zurückgeben, weil sich seine Freundin nicht wohl darauf fühle. Der Verkäufer erstattete jedoch nur einen kleinen Teil des Kaufpreises und verwies auf seine Kundeninformation, aus der sich ergebe, dass bereits mit der ersten Befüllung der Wiederverkaufswert des Bettes extrem sinke. Dieser Zusatz bei der Widerrufsbelehrung ist nach Auffassung des BGH jedoch nichtig.

Eine befremdliche Entscheidung. Wer Wasserbetten im Ladengeschäft kauft, muss in der Regel mehr dafür zahlen, nicht zuletzt weil der Verkäufer Verkaufsräume und Probebetten bezahlen muss. Diese Kosten fließen dann in seine Preiskalkulation ein. Internetverkäufer sparen sich dies und können ihre Ware daher oft günstiger anbieten, dann aber mit dem Risiko für den Kunden. Wer testen will, muss eben im Ladengeschäft kaufen. Mit solcher Rechtsprechung fördert man, dass Kaufinteressenten im Geschäft am Ort testen und dann über das Netz kaufen.

Wie dem auch sei: Ich geh dann mal schnell ins Netz und bestelle noch ein paar Kondome...

Lange Liste?

Soeben flattert ein überraschendes Fax vom Amtsgericht, Haftrichterabteilung, herein mit einer Beiordnung als Pflichtverteidiger, nachdem Untersuchungshaft gegen den mir noch unbekannten Mandanten angeordnet wurde.

Für mich ist das Premiere, obwohl die entsprechende gesetzliche Regelung zum 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist. Damals stellte die Strafverteidigervereinigung für das Gericht eine Liste von bereiten Kollegen zusammen. Elf Monate hat es nun gedauert, bis mich das Los traf. Es muss wohl eine lange Liste sein.

Montag, 1. November 2010

Abmahnopfer schießen zurück

Metaclaims, ein Prozessfinanzierer, erhebt eine Sammelklage gegen DigiProtect. Insgesamt sieben Abgemahnte haben Ihre Forderung abgetreten, wie gulli.com berichtet. Auf diesem Weg wolle man klären lassen, ob Unternehmen wie DigiProtect, welche lediglich als Lizenznehmer entsprechende Nutzungsrechte erworben haben, überhaupt abmahnen dürfen.

Es geht also um die Aktivlegitimation, sprich: das Recht, die Forderung in eigenem Namen geltend zu machen. Diese ist Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage und an sich von Amts wegen zu prüfen. Hat denn DigiProtect noch nie geklagt? Oder heißt das, die damit befassten Gerichte haben diesen Punkt jedesmal übersehen? Oder haben sie einfach nur keine Zweifel an diesem Recht gehabt? Man darf gespannt sein, wie das anzurufende Landgericht das sieht.

Grundgesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht

Ein bislang eher weniger bekanntes Zeugnisverweigerungsrecht hat das Landesarbeitsgericht Köln festgestellt:

"Ein Zeuge, der ernsthaft befürchtet, von einer Prozesspartei tätlich angegangen zu werden, wenn er den Vorfall schildert, kann wegen seines grundgesetzlich gewährleisteten Rechts auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 GG zur Zeugnisverweigerung berechtigt sein." (LAG Köln, 9 Sa 826/09)

Da bin ich mal gespannt, wie mein bei Gelegenheit anzubringender Antrag auf entsprechende Zeugenbelehrung gemäß Art. 2 Abs. 2 GG bei Gericht ankommen wird...