Schlussdiskussion auf dem 35. Strafverteidigertag zum Thema "Manipulierte Wahrheitsfindung. Die Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden." Das Gespräch dreht sich primär darum, ob überhaupt und wenn ja: wie frühzeitige Berichterstattung zu einer Vorverurteilung führen kann. Die eingeladene Vertreterin der Staatsanwaltschaft erklärt, sie könne sich nicht vorstellen, dass sich irgendein Richter durch Presseberichte bei der Urteilsfindung beeinflussen lassen würde.
Schünemann veröffentlichte bereits vor fast 30 Jahren Forschungsergebnisse, die den Schluss zulassen, dass bereits die Kenntnis vom Inhalt der Ermittlungsakte eine sehr deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung zur Folge hat. Richter, die zuerst die Ermittlungsakte gelesen hatten, kamen in den Versuchen weitaus häufiger zu Verurteilungen, als solche, die lediglich den Verlauf der Hauptverhandlung kannten. Letztere kamen deutlich öfter zur Überzeugung, freizusprechen.
Erklärt wird dies mit den Erkenntnissen der kognitiven Psychologie. Diese kommen zu dem Ergebnis, dass der berühmte erste Eindruck wohl noch weitaus wichtiger ist und einen sehr nachhaltigeren Eindruck hinterlässt, als man gemeinhin sowieso schon annimmt.
Angesichts dieser Erkenntnisse scheint mir diese Diskussion fast unwirklich. Kennt man diese Untersuchungen bei den Diskutanten auf dem Podium nicht oder ignoriert man das bewusst?
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