Das Bundesverfassungsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung die weiten Grenzen der Meinungsfreiheit hervorgehoben: "Ein im Rahmen der Führungsaufsicht für die Dauer von fünf Jahren erteiltes allgemeines Publikationsverbot für die „Verbreitung rechtsextremistischen oder nationalsozialistischen Gedankenguts“ ist verfassungswidrig", lautet die heute veröffentlichte Pressemitteilung.
Hintergrund: Das Oberlandesgericht München hatte den Beschwerdeführer u. a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) verurteilt und im Rahmen der Führungsaufsicht - unter anderem - das nach §145a StGB strafbewehrte Verbot, für die Dauer von fünf Jahren „rechtsextremistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut publizistisch zu verbreiten“, verhängt. Angesichts der früheren Verurteilungen, der Anlasstaten und des Umstandes, dass er während des Strafvollzugs Beiträge für rechtsextremistische Zeitschriften verfasst habe, ließ nach Auffassung des OLG seine unverändert fortbestehende Gesinnung besorgen, dass er künftig mit Publikationen gegen §§ 130, 86a StGB verstoßen werde.
Dies werteten die Verfassungshüter in Karlsruhe als verfassungswidrig. Der Senat hob das Verbot auf, weil es zu allgemein gefasst sei und damit "unverhältnismäßig" in die Meinungsfreiheit des Neonazis eingreife. Die Meinungsfreiheit schütze grundsätzlich - in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG - auch die Verbreitung rechtsextremistischer Meinungen. Die Einstufung einer Position als "rechtsextremistisch" sei eine "Frage des politischen Meinungskampfes" und unterliege damit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Einschätzungen, begründete es seine Entscheidung. Das Verbot sei nicht hinreichend abgrenzbar, da es auch Veröffentlichungen unterhalb der Schwelle der §§ 130, 86a StGB erfasse. Der angegriffenen Entscheidung sei nicht zu entnehmen, "ob von dem Verbot der Verbreitung „nationalsozialistischen Gedankenguts“ jedes Gedankengut, das unter dem nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürregime propagiert wurde, erfasst sein soll oder nur bestimmte Ausschnitte der nationalsozialistischen Ideologie, und, falls letzteres der Fall sein sollte, nach welchen Kriterien diese Inhalte bestimmt werden können."
Eine mutige Entscheidung. Mutig, weil sie Anlass zu kontroverser Diskussion bietet und Widerspruch nachgerade provoziert.
Dabei ist sie dem Grundgedanken nach so einleuchtend wie zutreffend: Nicht das gesamte nationalsozialistische Gedankengut steht auf der Stufe einer Volksverhetzung (§ 130 StGB). Vieles davon ist einfach nur Unsinn oder falsch. Die für einen Rechtsstaat elementare Meinungsfreiheit muss es erlauben, auch Blödsinn veröffentlichen zu dürfen. Sonst würde ein verurteilter Neonazi sich strafbar machen, wenn er das veröffentlichen würde, was beispielsweise viel beachtet ein Herr Sarazin mit nicht geringem Beifall gesagt hat. Die Überlegungen zum gemeinsamen Gen der jüdischen Bevölkerung wurden von einer Reihe von Menschen als durchaus wesensverwandt zu nationalsozialistischer Weltsicht eingestuft. Und in jüngerer Zeit wurde auch wieder - straflos - darüber spekuliert, ob der Überfall Polens 1939 durch die Wehrmacht nicht vielleicht doch nur einem Angriff der polnischen Armee zuvorgekommen sei.
Andererseits: So weitreichend hat vermutlich das OLG selbst sein Publikationsverbot nicht gesehen. Was die Frage aufwirft, ob hier nicht auch der Verweis auf die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des verhängten Verbots genügt hätte. Zumal das OLG schon in seiner Begründung für die Verhängung des Verbots recht deutliche Hinweise darauf gegeben hat, was damit bezweckt werden sollte: Zu verhindern, dass der Beschwerdeführer weiterhin wie schon in der Vergangenheit Gedankengut veröffentlichen und verbreiten kann, das zu strafrechtlicher Verfolgung Anlass gibt.
Nun, die Verfassungsrichter haben dem OLG zumindest genug Hinweise mit auf den Weg gegeben, wie sie ihr sicherlich berechtigtes Ziel verfassungskonform erreichen können.
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